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Heimatsuchen


Stimmen zum Buch:

»Die Presse«, Wien, 16./17. Oktober 1982, Kurt Benesch:
»Man trieb sie wie Vieh über die Straßen, der Grenze entgegen, die Alten und Schwachen brachen unterwegs zusammen, krepierten wie die Tiere, wurden später verscharrt oder auf Haufen geworfen, mit Benzin übergossen, angezündet und verbrannt […] Man schleppte sie in Keller, folterte sie, quälte und erniedrigte sie auf jede nur denkbare Weise, man ließ sie auf den Knien über Glasscherben kriechen, man schlug sie wie Ungeziefer tot […] Eine Statistik kam zu dem Ergebnis, dass 241.000 Todesopfer zu beklagen sind. […]
Das kommt nicht aus Vietnam, nicht aus Afghanistan, aus Nahost oder Es Salvador, das sind Zitate aus dem eben erschienenen Roman Heimatsuchen von Ilse Tielsch (Styria), der die Austreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei im Jahre 1945 darstellt. Ein Thema, mehr als dreieinhalb Jahrzehnte mit einem Tabu belegt und, abgesehen von einzelnen Historikern, bestenfalls von einer Art Untergrundliteratur behandelt. Umso verdienstvoller, dass sich eine Autorin heute seiner annimmt, dass sie, selbst eine Vertriebene aus Südmähren, nach so vielen Jahren wieder dort anknüpft, wo sie in einer ›neuen Heimat‹ ihr ›neues Leben‹ beginnen musste, aus 35-jähriger Distanz zu dem grauenvollen Geschehen, […] besonders verdienstvoll, was sie an Erinnerungen an die Hauptfigur Anni (gleichen Jahrgangs wie die Autorin selbst) in sich trug, mit den Schicksalen vieler anderer und viel dokumentarischem Material angereichert, derart maßvoll und, wie mir scheinen will, gerecht zu Papier gebracht hat […].«

»Neue Züricher Zeitung«, 17. September 1982, Heidrun Graf:
» […] Das Buch möchte als eine genaue Beschreibung der sogenannten Jahre Null (1945 bis 1948) verstanden werden, und es hat aufzuhören, sobald sich eine Besserung abzuzeichnen beginnt, sobald es aufwärts geht. […] Ilse Tielsch verwendet verschiedene Mittel, um eine möglichst genaue Annäherung an die damalige Wirklichkeit zu erreichen. Einmal die erzählende Fiktion, wie es gewesen sein könnte anhand der Erinnerungen der Mutter und in einer Landschaft, die sie als Kind gut gekannt hat, dann die eigene Erinnerung, die sie mit geradezu wissenschaftlicher Genauigkeit beschreibt. […] Wie und womit diese Menschen, die außer ihrem Leben alles verloren haben, einen neuen Anfang finden, wie sie einander helfen oder betrügen, ermutigen oder demütigen – immer und überall kommt es auf den einzelnen Menschen an – davon handelt dieses Buch. Es geht nicht darum, warum Menschen vertrieben werden – das wäre eine andere Frage, - sondern darum, woher sie kommen und wer sie haben will […].«

»Kleine Zeitung«, Graz, 10. Oktober 1980, Wendelin Schmidt Dengler:
»Nicht nur der Geburtsjahrgang – 1929 – verbindet Ilse Tielsch mit Christa Wolf. Die DDR-Autorin und die aus Südmähren stammende Österreicherin sind ihrer Kindheit auf der Spur. Christa Wolf in Kindheitsmuster (1976) und Ilse Tielsch in der Ahnenpyramide. Beide haben das Land ihrer Kindheit als Heimat verloren und eine neue gewonnen. Christa Wolf und Ilse Tielsch rekonstruieren ihre Kindheit. Für Christa Wolf wird ein Besuch in dem polnischen Gorzow, dem einstigen Landsberg an der Warthe, zum Anlass, die Erinnerung zu befragen. Ilse Tielsch erzählt Familiengeschichte ab 1580, eine Vignette an die andere reihend. Beide zeigen die Distanz zur Vergangenheit durch die Wahl der Hauptperson an: Christa Wolf verbirgt sich hinter einem Mädchen, das sie Nelly nennt, Ilse Tielsch Heldin heißt Anni. […] Es ist Trauerarbeit, die geleistet wird, Bewältigung der Vergangenheit, ohne marktschreierisch ein Konzept dafür zu verkünden oder ungebetene Schuldbekenntnisse aufzutischen. Für uns alle enthält das Buch viel an Wissenswertem, vor allem an kulturhistorisch Interessantem. […]
Dieser Roman ist anregend. Es gilt, aus unserer Biographie die Dimension der Geschichte wiederzugewinnen, um unser Handeln heute zu verstehen.«

»KK – Kulturpolitische Korrespondenz«, Bonn, 5. Dezember 1982, Hans Lipinsky-Gottersdorf:
» […] Im Herkunftsmilieu wie im Formalen erinnert Ilse Tielsch's Heimatsuchen an das ›Kindheitsmuster‹ der Christa Wolf. Freilich ist die Verwandtschaft der beiden Bücher damit auch schon zu Ende. Von der inneren Beziehung der beiden Autorinnen zueinander kann ohnehin nirgendwo die Rede sein. Die bei aller Berühmtheit eher blutarme Dame aus Landsberg an der Warthe hat ihr striktes Gedächtnismuster in der unverkennbaren Absicht entworfen, eigene, bittere Enttäuschungen im realen Sozialismus durchaus theoriegetreu als schädliche Folgen der bürgerlichen Umwelt des beachtlich altklugen Schulmädchens ihrer Kindheit abzukanzeln. Ilse Tielsch schreibt gleichsam absichtslos, nichts anderem verpflichet als dem erwählten Stoff. Und das macht einen beträchtlichen Vorsprung an Gelassenheit für sie: Heitere Gelassenheit jenen grauen und grausamen Alltäglichkeiten gegenüber, mit denen sie Seite um Seite ihrer ernsten Chronik füllt […].«

»Die Welt«, Hamburg, Hans Lipinsky-Gottersdorf:
Der Inhalt dieser Rezension deckt sich überwiegend mit jenem der Besprechung in KK – Kulturpolitische Korrespondenz, Hamburg.


Weitere beachtenswerte Rezensionen in:

»Wiener Zeitung«, 29. Oktober 1982, Alfred Warnes
»Arbeiter-Zeitung«, Wien, 11. Oktober 1982, Hans Heinz Hahnl
»Kurier«
, Wien, 20. November 1982, Wolfgang Broer
»Deutsche Welle«
, 24. Jänner 1983, Margit Spielmayer »Podium«, Neulengbach, Heft 1/1983, Erika Eyer
ORF, Landesstudio Kärnten,
17. März 1983, »Morgen«, 26/82, Jeannie Ebner
»Salzburger Nachrichten«, 23. April 1983, Karl Harb
»Literatur und Kritik«
, 175/176, Kurt Benesch

u.a.